Das Leben nach der Corona-Isolation muss sich bei mir erst langsam wieder einspielen. Dazu gehört auch die Wiederbelebung des regelmäßigen Kinobesuchs. Um wieder in die Gänge zu kommen, habe ich heute mal die Liste der Oscar Nominierungen studiert und versuche ein paar schlaue Zeilen zu schreiben, was mir dabei so alles durch den Kopf ging.
Von den 10 als „bester Film“ nominierten Werken habe ich bisher 6 gesehen. Für mich ein ganz guter Schnitt. Bei 5 dieser 6 Filme kann ich auch sehr gut nachvollziehen warum sie nominiert sind.
Im Westen nichts Neues
Die Neuverfilmung des 1928 von Erich Maria Remarque verfassten Romans, der das Ende des 1. Weltkriegs thematisiert, habe ich leider nicht auf der großen Leinwand gesehen, sondern nur auf der Streaming Plattform meines Vertrauens. Das ist zwar weniger immersiv, aber da ich ein ziemlicher Schisser bin was realistische Explosionen, Todesschreie und Kriegsszenarien im Allgemeinen betrifft, für mich wahrscheinlich sogar die bessere Variante.
Der Film wird zurecht als DER aktuelle (und evtl. einzige wirkliche) Anti-Kriegsfilm gepriesen. Die Einstiegssequenz ist genauso beklemmend, negativ und verstörend wie diverse Schlachtszenen in der Mitte und vor allem am Ende des Films. Fazit: Es gibt weder Helden noch Gewinner oder gar die Illusion dass das ganze Töten und Sterben zu irgendetwas gut gewesen ist. Ziemlich eindrucksvoll, wenn auch deprimierend und leider auch sehr aktuell.
Meine persönliche Einschätzung: Könnte den Oscar als bester Film gewinnen.
Avatar : The Way of Water
Die Fortsetzung von James Camerons Meisterwerk aus dem Jahr 2009 konnte ich in leinwand- und soundtechnischer Top-Qualität genießen. Das ist für diesen Film auch unbedingt zu empfehlen. Ein würdiger Nachfolger, der vor allem durch atemberaubend hoch aufgelöste 3-D-Effekte und fantasievolle Unterwasserkreaturen begeistert.
Kriegshandlungen kommen auch vor. Im Gegensatz zu Im Westen nichts Neues kann Avatar aber nicht auf die übliche Hollywood Heldendarstellung verzichten. Die Natur wehrt sich erfolgreich gegen böse Menschen und ihre Kriegsmaschinen. Tote gibt es zwar auch, aber die sind überschaubar. Einzig wirklich demprimierend: RIP Walbaby.
Meine persönliche Einschätzung: Super unterhaltsam und gerne mehr davon. Wird voraussichtlich in den technischen Kategorien „beste visuelle Effekte“ und „bester Ton“ gewinnen, aber nicht als „bester Film“.
The Banshees of Inisherin
spielt im Jahr 1923 während des irischen Bürgerkriegs und erwähnt diesen mehrmals. Es geht hier aber nicht um die große kriegerische Auseinandersetzung auf einem Schlachtfeld mit hunderten von Toten. Der Film ist vielmehr ein Kammerspiel, limitiert auf einige wenige Handlungsorte auf einer kleinen (fiktiven) und beschaulichen Insel vor der irischen Küste. Die Erzählung konzentriert sich auf einige wenige Figuren, deren Schicksale eindrucksvoll vermitteln, dass vergleichsweise kleine Konflikte innerhalb einer überschaubaren Menschengruppe die gleichen Ursachen und auch die gleichen Auswirkungen haben können, wie die großen Konflikte der Menschheit und ihre kriegerischen Auseinandersetzungen.
Leidtragende sind vor allem diejenigen, die unschuldig in den Konflikt hineingezogen werden. Analog zum Walbaby in Avatar: The Way of Water betrifft es auch in Banshees of Inisherin mit dem Zwergesel Jenny ein kleines, süßes, unschuldiges Tier. Eine interessante Parallele, die mir zugegeben erst jetzt auffällt, wo ich beide Filme hintereinander kommentiere.
Die Szene mit dem Esel hat mich noch mehr verstört als die zahlreichen Schlachtentode in Im Westen nichts Neues. Ich hoffe das liegt nicht an meiner Abgebrühtheit gegenüber menschlichen Schicksalen, sondern ganz einfach daran, dass Drehbuchschreiber und Regisseur hier sehr bewußt und gekonnt auf einen Nerv zielen, der auf handelsübliche Kriegsfilm-Schlachten durch den Gewöhnungseffekts der ständigen Wiederholung vermutlich nicht mehr ganz so empfänglich reagiert hätte.
Meine persönliche Einschätzung: Unter den von mir bereits gesehenen Filmen der klare Favorit.
Everything, Everywhere All At Once
Da ich für Zeitreisen und surreale Parallelwelten immer zu haben bin, war dieser Film bei mir schon lange auf der Liste. Dass ich ihn nicht im Kino gesehen habe, hat eher damit zu tun, dass im Sommer 2022 ziemlich viele andere Privattermine auf meinem Kalender standen, die sich leider mit dem Spielplan des lokalen Kinos meines Vertrauens nicht vereinbaren ließen. Gestern endlich geschafft ihn zu Streamen und hatte dabei leider einen etwas gemischten Eindruck.
Die beiden Hauptcharaktere Evelyn (Michelle Yeoh) und Waymond (Ke Huy Quan) entsprechen auf eine sehr erfrischende Weise nicht den gängigen Hollywood Clichés. Gegenspielerin Jobu Tubaki (Stephanie Hsu) ist herrlich nihilistisch schräg und überdreht. Die atemberaubend geschnittenen Szenen, in denen Evelyn binnen Sekunden durch zahlreiche Parallelwelten „scrollt“, fand ich genauso genial wie das Stein-Universum im letzten Drittel des Films.
Auf der großen Leinwand hätte der visuelle Eindruck wohl noch eindringlicher nachgewirkt und mich besser über einige zu hektisch inszenierte Kampfszenen, verwirrende Dialoge und halbverständliche philosophischen Erklärungsversuche hinweg getragen.
Meine persönliche Einschätzung: Würde mich freuen, wenn der Film den Oscar für den „besten Schnitt“gewinnt. Noch mehr würde es mich freuen, wenn Michelle Yeoh die den Oscar als beste Schauspielerin mit nach Hause nehmen darf. Auf jeden Fall ein innovativer, witziger und spannender Film. Für mich aber nicht der beste Film des Jahres.
Elvis
konnte ich ebenfalls im Kino sehen. Leider auf einer viel zu kleinen Leinwand mit durchschnittlichem Sound und ohne viel Schnickschnack. Umso besser, dass Regisseur Baz Luhrman sich treu geblieben ist und dieses Bipoic gewohnt bildgewaltig, musikalisch mitreißend und teilweise ziemlich schräg inszenierte. So kam es auch im relativ kleinen Rahmen ganz gut zur Geltung. Ob jemand den Film gut oder schlecht findet, hängt wahrscheinlich davon ab ob man mit dem Baz Luhrman Stil generell etwas anfangen kann oder nicht.
Mein persönliche Einschätzung: guter Film, aber die Konkurrenz hat die gewichtigeren Themen, ist zeitloser und funktioniert auch ohne Nostalgiefaktor. Elvis wird daher voraussichtlich nicht gewinnen.
Top Gun: Maverick
Die Fortsetzung der Schleichwerbung für die U.S. Navy in Spielfilmlänge habe ich vorsichtshalber in einem Kino mit großer Leinwand und entsprechendem Surround-Sound angesehen. Genau wie der erste Top Gun Film aus den 1980ern ist auch die Forsetzung durchaus unterhaltsames Popcorn Kino. Ich habe genau das erhalten was ich erwartet hatte.
Mein persönliche Einschätzung: Kurzweilig und spannend, vor allem die atemberaubenden Flugaufnahmen, die eine Nominierung in der Kategorie „bester visuelle Effekte“ durchaus rechtfertigen. Warum Top Gun: Maverick auch für den Oscar als bester Film nominiert ist, erschließt sich mir leider nicht.
The Fabelmans
ist zum heutigen Zeitpunkt in meiner Aufenthaltsregion noch nicht angelaufen. Sobald er in die Kinos kommt, werde ich ihn mir ziemlich sicher ansehen. Da ich ein alter, nostalgischer Steven Spielberg Fan bin, erwarte ich, dass die sehr stark an seine eigene Kindheit angelehnte Geschichte mich entsprechend interessieren wird. Aufgrund der durchmischten Reviews bin ich etwas skeptisch was den damit verbundenen Kitschfaktor betrifft. Ob und wie der bei mir wirkt, kann ich gerne mit euch teilen, sobald ich den Film gesehen habe.
Tár
ist ebenfalls in meinen Breiten noch nicht angelaufen. Da ich Cate Blanchett generell gut finde und das Drama rund um ein in die Jahre gekommene Dirigentin mir thematisch vielversprechend erscheint, werde ich mir auch diesen Film definitiv ansehen.
Triangle of Sadneess
habe ich leider verpasst, als er in einigen wenigen Kinos bei mir in der Nähe gespielt wurde. Den Trailer fand ich nicht so ganz überzeugend. Der Film wurde mir von einem guten Bekannten, der selber Kinobegeistert ist und meistens gute Empfehlungen abgibt, dennoch nahe gelegt. Für mich also ein Kandidat für späteres Ansehen im Streaming Dienst meines Vertrauens.
Women Talking
ist ebenfalls noch auf meiner To-do-Liste. Auch hier finde ich das Thema (verbalen Aufarbeitung von fiktiven traumatischen Ereignisse im Sektenmilieu) durchaus interessant. Kann aber leider dazu nicht mehr sagen, da ich auch die Buchvorlage nicht kenne und mich bisher leider wenig mit diesem Film beschäftigen konnte.
Frage an die Leserschaft:
Verfolgt ihr die Oscar Verleihungen noch ? Welche der nominierten Filme habt ihr gesehen ? Welche sind eure Favoriten ? Welchen der von mir noch nicht gesehenen Filme könnt ihr mir empfehlen als nächstes zu schauen ?