Die unendliche Geschichte – Bühnenversion (Tour) des Salzburger Landestheaters 2023

Im Juli 2023 hatte ich das Vergnügen die Tourversion dieser Theaterinszenierung von Michael Endes Roman im Deutschen Theater München zu besuchen. Etwas spät aber doch könnt ihr hier meine Gedanken zum Originalbuch, dem Kinofilm und der Bühnenversion dieses Klassikers der deutschsprachigen Fantasy Literatur nachlesen.

Das Buch der Bücher

… las ich zum ersten Mal als ich in der 2. Klasse Volksschule war. Ich hatte eine Kinderkrankheit (Masern oder so), war müde aber nicht zu k.o. um mich zu langweilen. Meine Mutter kam mit dem Buch nach Hause und meinte: Das ist ein dickes Buch, da hast du länger was davon!“ Ich habe es dann an einem verlängerten Wochenende (c. 4 Tage) ausgelesen. Immer wenn jemand mir erzählt, dass Lesenlernen für Kinder anstrengend ist, zucke ich seither (zumindest innerlich) nur mit den Schultern.

Das besondere an dem Buch (grauer Einband mit weißer Schrift, auf dem Cover das Auryn Emblem der zwei Schlangen) ist, dass die Passagen, die in der fiktiven Welt Phantásien spielen, in grüner Schrift gedruckt sind und die in der Realität in roter Schrift. Ungefähr in der Mitte des Buches wechselt die menschliche Hauptfigur Bastian Balthasar Bux, der das Buch „Die Unendliche Geschichte“ aus einem Antiquitätenlanden stiehlt und auf dem Dachboden des Schulgebäudes liest, nach Phantásien – also von Rot nach Grün – und erst kurz vor dem Ende wieder zurück in die Realität. Dieser Spezialeffekt ist so einfach wie genial. Unter meinen ungefähr gleich alten Bekannten kenne ich keinen deutschsprachig aufgewachsenen Menschen, der oder die diese Ausgabe des Buches nicht kennen.

Meine Lieblingszitate

Das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden

(Der allwissende Erzähler)

Denn was man nicht in Reimen spricht, versteh‘ ich nicht !

(Uyulalá)

Die Filmversion (R.I.P. Artax)

Aus dem Kinofilm (Regie Wolfgang Petersen, 1984) ist mir vor allem die Visualisierung der genial traurigen Szene in Erinnerung in der Artax das Pony in den Sümpfen der Traurigkeit versinkt, weil er durch diese Umwelt depressiv wird und sich auch von seinem besten Freund, dem jungen Krieger Atréju vom Gräsernen Meer, nicht mehr aus dem Schlamm heraus ziehen lässt.

Etwas fröhlicher, aber ebenso ikonisch, sind die Sequenzen in denen Bastian und/odere Atréju auf dem Glücksdrachen Fuchur reiten. Dieser wirkt im Film mehr wie ein Hund mit sehr langem Körper aus als wie ein Drache. Die Animatronik, über die seine Mimik gesteuert wurde, steckte technisch noch in den Kinderschuhen, sieht aber auch bei Betrachtung mit heutigem „Zukunfsauge“ noch immer sehr sympathisch und überzeugend aus.

Was schon immer einer meiner größten Kritikpunkte an der Filmversion war, wird in der Bühnenversion des Salzburger Landestheaters 2023 sehr weise vermieden. Die Geschichte endet nicht mit dem vermeintlichen Happy End in der Mitte. Das Finale kommt, sehr getreu der Handlung des Buches, erst nach einer doch ziemlich langen und heftigen Odyssee durch Phantásien samt Bürgerkrieg, Gedächtnisverlust, Verrat und schließlich doch Versöhnung, Rettung und Rückreise in die reale Welt.

Das Hauptthema der Unendlichen Geschichte

Auch als Kind fand ich den zweiten, etwas politischeren Teil der Unendlichen Geschichte genauso gut wie den ersten, der eine Heldenreise à la Herr der Ringe darstellt. Ich war aber nie ganz glücklich mit der Botschaft, dass Menschen die ihr Leben Zuviel mit Bücherlesen verbringen, die Realität und den Verstand zu verlieren drohen. Als Kind lebt man einem Zustand in dem es total normal erscheint, dass Fiktion und Realität parallel existieren und miteinander verschwimmen. Ich verstand damals nicht ganz was daran so gefährlich sein sollte. Irgendwie fühlte ich mich sogar etwas auf den Schlips getreten.

Mit ein paar Jahrzehnten Abstand erkenne ich die Intention, die hinter dieser Botschaft steht: Es ist ein Plädoyer für die Fantasie, aber gleichzeitig auch eine Warnung davor, die Realität nicht ernst genug zu nehmen und sich davor drücken zu wollen, indem man sein Leben nur virtuelll lebt anstatt Ideen in die Realität umzusetzen. Wer keine Fantasie hat, stumpft innerlich ab. Wer keine Realität hat, verliert den Verstand. Beides keine guten Lösungen. Also besser beides mit Maß und Ziel verfolgen.

Ich war sehr erfreut, dass das Theaterstück schon mit dem Hinweis beworben wurde, man werde die ganze Geschichte erzählen, und nicht nur die halbe. Ich freute mich darüber nicht alleine zu sein mit dem Anspruch sich mit dem Stoff auch viele Jahre später noch in unterschiedlichen Genres zu beschäftigen. Hier nun also meine Gedanken zur Umsetzung auf der Bühne:

Besonderheiten der Bühnenversion

Am Anfang ist es etwas gewöhnungsbedürftig, dass Bastian Bux sich mit dem Buch, welches er aus Herrn Koreanders antiquarischem Buchladen stiehlt, nicht auf den Dachboden der Schule zurückzieht, sondern links vorne am Bühnenrand steht. Der Text, den Bastian aus der Unendlichen Geschichte vorliest, ist nicht 1:1 der des Romans. In vielen Passagen ist er so umformuliert als würde er das Libretto eines Bühnenstückes lesen. Ja, ich verstehe, dass das der Witz an der Sache ist. War nur nicht einfach für mich vom gewohnten Mindest in ein anderes zu wechseln.

Sehr kreativ, wenn auch ebenso gewöhnungsbedürftig, sind die gewählten Kostüme dieser Theaterproduktion. Verspielt und fantasievoll einerseits; minimalistisch und surreal andererseits. Vor allem die Tiere sind schwer als solche auf der Bühne umzusetzen: Das mag wohl auch einer der Gründe sein, warum die Sequenz mit Artax in den Sümpfen der Traurigkeit innerhalb von 5 Minuten abgehandelt wird . Wahrscheinlich eh die bessere Lösung, denn die in mein Hirn eingebrannten Filmszenen zu toppen wäre ohnehin in jeder Form unmöglich.

Im Kontrast zum Kinofilm der 1980er liegt der Fokus des Theaterstücks in der ersten Hälfte komplett auf jenen Szenen, die im Film nicht oder nur sehr am Rande vorkommen. So erhält zum Beispiel Ygramul die Viele, welche aus unzähligen Augen besteht, die zusammen einen spinnenähnlichen Körper bilden, ihren wohlverdienten Platz. Ebenso die nur aus einer engelsgleichen Stimme bestehende Uyulalá, die rätselhafte Prophezeiungen macht und ausschließlich in Reimen kommuniziert. Im Buch liebte ich diese beiden Wesen, und die Sequenzen in denen sie vorkommen, ganz besonders. Der Romantext ist und bleibt einfach unübertroffen. Die Umsetzung auf der Bühne fand ich aber auch durchaus würdig und gut übertragen.

Ein weiterer Charakter, den ich im Buch faszinierend fand, war Graograman. Ein Löwe aus Feuer, der in der Wüste der Farben lebt. Wie die Sonne wird jeden Morgen neu geboren und stirbt jeden Abend. Leider war sein Auftritt auf der Bühne etwas kurz, aber immerhin wurde er nicht wie in der Filmversion ersatzlos weggelassen.

Die Bausteine Phantásiens

Ein einfacher und doch genialer Aspekt der Unendlichen Geschichte ist der im Text mehrmals erscheinende Hinweis darauf, dass viele Gestalten und Orte aus anderen sehr bekannten Büchern entnommen sind und dies vollkommen beabsichtigt ist. Die in Büchern verewigte Fantasie der Menschen bildet die Essenz dessen was Phanásien als fiktive Parallelwelt ausmacht. Sie ist das Konglomerat aller vorangegangenen Geschichten, die Menschen einander erzählt, geschrieben oder sonstirgendwie überliefert haben. Es ist alles nicht nur einfach „geklaut“, sondern sehr absichtlich, planvoll und zielgerichtet miteinander verwoben.

Als Kind hatte ich Herr der Ringe noch nichtmal ansatzweise gekannt. Die Narnia Bücher waren damals im deutschsprachigen Raum auch noch nicht so populär wie heute. Da ich beide Buchreihen erst zu lesen begann als die zugehörigen Filme in den Kinos liefen, war das für mich eine ganz späte Erleuchtung.

Je mehr ich darüber nachdenke und schreibe, desto mehr Wesen, denen Atréju und Bastian in Phantásien begegnen, erkenne ich als ein Sammelsurium aus Wesen und Charakteren anderer literarischer Fantasy Werke.

Ygramul die Spinne = Kankra aus Herr der Ringe

Graograman der Löwe = eine noch abgefahrener Version von Aslan aus den Narnia Romanen.

Die Krieger vom Gräsernen Meer (das Reitervolk dem Atréju angehört) = die Reiter von Rohan aus Herr der Ringe

Die Steinbeißer = die Steinriesen, ebenfalls Herr der Ringe

Zurück zum Bühnenstück

Ich fand Fuchur auf der Bühne ebenso gewöhnungsbedürftig wie Artax und sämtliche andere Tierfiguren. Was aber wirklich genial gelöst wurde, ist die Flugtechnik bei der die Schauspielerin, die Atréju verkörpert, auf einer Art Kranarm sitzt, der sich auf und nieder bewegt. Einer ihrer Arme steckt in Fuchurs Kopf und bewegt seinen Mund und seine Augen. Die Stimme Fuchurs kommt dabei entweder aus dem Off oder der Schauspieler steht an der Seite und schaut zu Atréju hinauf, während er Fuchurs Text spricht. Windemaschine für wehendes Haar inklusive.

Ein wenig kindisch erschien Fuchur mir in der Bühnenversion schon. Da bin ich dann doch geneigt die Filmversion besser zu finden. Funktioniert hat die Darstellung aber trotzdem erstaunlich gut. Chappeau für die Tüftler hinter der Bühne, die sich diese Lösung ausgedacht haben.

Ein weiterer cooler Auftritt von Wesen aus dem Buch sind die Acharai = hässliche Larven, die vor lauter Grauslichkeit schon ganz depressiv geworden sind und ständig herumheuelen. Ich fand die im Buch immer zutiefst verstörend. Schön, dass sie im Bühnenstück einen würdigen, surrealen Auftritt haben. Auch die Botschaft, dass es nicht gut ist Depressionen in das krasse Gegenteil (= Manie verkörpert durch die Schlamuffen in die Bastian die Acharai mutieren lässt) zu verwandeln, ist sehr gut dargestellt.

Beim Ansehen des Bühnenstückes freute ich mich sehr darüber alle mir lebhaft aus dem Buch in Erinnerung gebliebenen Wesen in Aktion zu sehen. Einzig offen gebliebener Wunsch: Die Sequenz mit dem „Schreiber“ der unendlichen Geschichte auf dem steilen Bergweg zum Elfenbeinturm war wohl zu schwierig für eine Darstellung auf der Bühne und wurde leider weggelassen. (Apropos: Soll das im Buch der stilisierte Schicksalsberg aus dem Herrn der Ringe sein ?)

Ich habe es nicht mehr im Detail in Erinnerung, aber soweit ich weiß schreibt ein Typ auf einer Pergamentrolle quasi in Echtzeit mit was passiert als Atréju zur kindlichen Kaiserin gelangen möchte. Dieses Kapitel im Buch habe ich herrlich „meta“ und surreal in Erinnerung. Hätte es auch gerne auf der Bühne gesehen. Dafür scheint aber dann doch die Zeit zu knapp gewesen zu sein. Und/oder die Erklärung wäre in der Hektik alles Mögliche noch irgendwie in die Laufzeit des Stückes reinzupressen sowieso untergegangen. Ich verstehe also, warum das diese Sequenz nicht inkludiert wurde. Falls die Unendliche Geschichte doch nochmal neu verfilmt werden sollte: guter Tipp das einzubauen

Fazit

Ich fühlte mich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase in dieser Bühnenversion schnell zuhause und konnte jede Minute, die ich mit den liebgewonnenen Figuren verbringen durfte, auch vollumfängliche genießen. Umso mehr schmerzt es mich, dass die Vorstellung, die ich an einem Donnerstag (dem zweiten von insgesamt vier Spieltagen) besuchte, halb leer war, so dass auch die Schauspieler*innen wohl sehr gut sehen konnten, dass sie sich vor einem halbleeren Theatersaal den (Wer-) Wolf spielten. Ich fand das wirklich sehr schade, rechne es ihnen aber sehr hoch an, dass sie sich dadurch nicht beirren ließen.

Falls diese Bühnenversion in Zukunft wieder zu sehen sein sollte, ich hätte auf jeden Fall Lust nochmal dabei zu sein.

Fragen an die Leserschaft

Habt ihr diese oder eine andere Bühnenversion der Unendlichen Geschichte schon gesehen?

Welche Erinnerungen / Erlebnisse verbindet ihr mit dem „Buch der Bücher“?

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