U.a. mit Stockard Channing, Laura Carmichael und Freema Agyeman.
Beim meinem letzten Londonbesuch hatte ich die Gelegenheit mir dieses Theaterstück des griechischen Wahlamerikaners Alexi Campbell anzusehen. Zugegeben, was mich auf die Idee gebracht hat aus der Fülle an kleinen und großen Produktionen am Westend gerade dieses eher klein und heimelig inszenierte Stück eines mir bis dato gänzlich unbekannten Autors auszuwählen, waren in erster Linie die Namen der drei Hauptdarstellerinnen, welche mir aus Film und Fernsehen bekannt waren.
Allen LeserInnen, die bis zum 18. November 2017 noch Zeit, Lust und Möglichkeiten haben, kann ich dieses Theaterstück aber auch abseits des Starpowers von Stockard Channing (Rizzo in der Musicalverfilmung Grease 1978), Laura Carmichael (Lady Edith in der Serie Dowton Abbey 2010-2015) und Freema Agyeman (Martha Jones, eine Begleiterin des 10. Doctors in der Serie Doctor Who) wärmstens empfehlen. Was der Titel eigentlich bedeutet, und welche Facetten der Geschichte sowie der Darstellung der einzelnen Figuren mir besonders gefallen haben, könnt Ihr in diesem Artikel nachlesen.
Vorsicht Spoiler – Ich bemühe mich, nicht zu viele Details zu verraten, kann aber auch nicht über die Vorzüge der Produktion schreiben ohne gewisse Themen, Handlungselemente und Infos über die Hauptcharaktere anzusprechen.
Setting
Die Handlung findet in einem einzigen Bühnenbild, der Wohnküche des Hauses unserer Hauptfigur Kristin Miller, irgendwo in einer britischen Kleinstadt statt. Historische Ansiedlung der Handlung ist, anhand einer sehr spezifischen Textreferenz, während der Amtszeit des 44. amerikanischen Präsidenten Barack Obama, noch vor dem Wahlkampf in dem Donald Trump gegen Hillary Clinton antrat. Also irgendwann zwischen 2009 und 2016. Die Geschehnisse spielen sich am Abend von Kristins Geburtstag und dem darauf folgenden Morgen ab.

Quelle: https://theatreweekly.com/review-apologia-at-trafalgar-studios/
Handlungsrahmen
Die international sehr erfolgreiche Kunsthistorikerin Kristin Miller (Stockard Channing) feiert einen runden Geburtstag. Ihre engste Familie hat sie dafür zum Abendessen eingeladen. Nach und nach finden sich daher 4 weitere Protagonisten ein: Ihr Sohn Peter (Joseph Millson) mit seiner amerikanischen Verlobten Trudi (Laura Carmichael), Kristins alter Jugendfreund Hugh (Desmond Barrit) sowie Claire (Freema Agyeman), die Freundin ihres zweiten Sohnes Simon.
Nach einer allgemeinen Begrüßungsrunde, in der die Figuren und ihre Herkunft eingeführt werden, und etwas mehr oder weniger freundlichem Smalltalk, wird die Stimmung im Laufe des Abends immer angespannter. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass Kristin vor kurzem eine Autobiographie heraus brachte, in der sie der Welt viele Einzelheiten ihres bewegten Künstlerlebens preisgab, jedoch ihre beiden Söhne und die private Tragödie der Scheidung von ihrem Ehemann mit keiner Silbe erwähnte.
Den Höhepunkt des Stückes stellt ein verbaler Schlagabtausch zwischen allen Beteiligten dar, in dem die vorerst nur sehr vorsichtig angesprochenen familiären Konflikte untereinander endgültig hervor sprudeln und eskalieren.
Erst nach der Pause erfahren wir im 2. Akt, durch eine sehr emotionale spätnächtliche Unterhaltung zwischen Kristin und Simon (ebenfalls Joseph Millson), dass dessen massive psychische Probleme mit einem für ihn sehr traumatischen Kindheitserlebnis zusammen hängen. Mit den restlichen Familienmitgliedern will Simon sich aber nicht unterhalten und verlässt das Haus bevor diese sich am nächsten Morgen wieder in der Küche einfinden.
Die Verabschiedung aller anderen Figuren ist deutlich freundlicher als ihre Konfrontation am Abend zuvor. Als Kristin am Ende alleine im Raum zurück bleibt, wird klar, dass sie noch eine Weile brauchen wird um über zahlreichen Erkenntnisse (über die Art und Weise wie der bisheriger Umgang der Familie mit der Vergangenheit ihre Gegenwart beeinflusst) nach zu denken.
Was ich an Stück und Inszenierung besonders gelungen fand
Darsteller und Hauptcharaktere:
Wie am Anfang des Artikels schon erwähnt, hätte ich Apologia wahrscheinlich nicht gesehen, wenn ich nicht zufällig davon erfahren hätte, dass 3 mir sehr bekannte Schauspielerinnen involviert sind. Natürlich sind aber auch die besten DarstellerInnen nur dann überzeugend, wenn auch das Material stimmt mit dem sie arbeiten müssen.
Stockard Channing als Kristin Miller
Ich kannte Mrs. Channing bisher nur aus der Musicalverfilmung Grease (1978). Ihre damalige Figur war die coole aber dann doch auch tiefergründige Rizzo, eine Art Gegenstück zu Olivia Newton Johns blonder, etwas naiver Hauptrolle Sandie. Somit auch die Rivalin um die Gunst des obercoolen Danny (John Travolta).
In Apologia sehen wir sie deutlich gealtert aber noch sehr gut als sie selbst erkennbar. Vor allem die rauchige Stimme und die leicht nuschelnde Sprechweise, aber auch äußerlich anhand der sicher kosmetisch beeinflussten aber zumindest noch gut erhaltenen Gesichtszüge.
Passend fand ich die Tatsache, dass sie im Stück auch eine in Würde gealterte Künstlerin bzw. Kunsthistorikerin spielt, die auf ein bewegtes Leben mit intellektuellen Hochleistungen und stetem Einsatz für politische und soziale Entwicklungen (z.B. in der 68er Emanzipationsbewegung und Antikriegsdemos) zurückblicken kann. Ihre Darstellung war durchwegs glaubwürdig, sowohl in der Art wie sie die Stärken des vielschichtigen Charakters hervorhob, als auch in der Widerspiegelung der emotionalen Konflikte und Charakterschwächen.
Die Rolle der Kristin verkörpert sehr gut unter welchen Umständen diese Generation von Frauen ihr Leben und ihre Familien organisieren und den jeweiligen gesellschaftlichen Veränderungen entsprechend meistern mussten. Dass dabei viele Dinge passierten, die ganz und gar nicht glücklich verliefen, ist auch sehr menschlich und nachvollziehbar. Am inspirierendsten fand ich aber ihre Erklärung des Begriffes „Apologia“, der ja auch der Namensgeber für das ganze Theaterstück ist und das Thema zusammenfasst um das die ganze Geschichte sich dreht:

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Apologia
ist, anders als das davon abgeleitete englische Wort apology, keine Entschuldigung für etwas das man getan hat oder wofür man verantwortlich ist. Im Ursprungssinn ist es eine literarische Form der Abhandlung in der jemand die Umstände und Beweggründe seines Handelns und der daraus resultierenden Konsequenzen darlegt. Und zwar mit dem Zweck diese zu erklären und nachvollziehbar zu machen, ohne sich dafür entschuldigen zu müssen.
(siehe auch http://www.wortbedeutung.info/Apologie/ )
Joseph Millson als Doppelrolle Peter und Simon
Dieser junge Schauspieler imponierte mir vor allem durch die Tatsache, dass ich zunächst garnicht merkte, dass auch der zweite Sohn von ihm dargestellt wurde. Mr. Millson ist sowohl äußerlich als auch von der Gestik und Sprechweise her sehr wandelbar und musste ein sehr weites Spektrum an Emotionen darstellen. Hoffentlich werden wir von ihm in Zukunft auch weiterhin viel hören und sehen.
Zur Figur des Peter ist zu erwähnen, dass er den äußerlich sehr rationalen, betont sozialen und freundlichen Menschen darstellt, der hinter der Fassade aber eine Menge Unsicherheit und ungelöste Konflikte mit sich herum trägt. Simon ist dagegen der nach außen wie auch innerlich sehr emotionale, von seinem Ursprungstrauma des Sich-Verlassen-Fühlens in einer gefährlichen Situation gepeinigte Antiheld (Seine Mutter hatte ihn eines Abends nicht wie vereinbart vom Bahnhof abgeholt und er ging mit einem Unbekannten mit in dessen Wohnung).
Laura Carmichael als Trudi
Wiedermal eine Schauspielerin, die ich aus einer Fernsehserie kannte. Sie war die etwas naive aber oft auch zwischen Neid auf ihre Schwestern und guter Samariter schwankende Lady Edith in Downton Abbey (2010-2015).
Obwohl ich ihre Darstellung der klischheehaft amerikanischen Verlobten von Peter in Apologia auch sehr gut fand, muss ich dennoch anmerken, dass sie mir weitaus weniger wandelbar vorkam als die anderen SchauspielerInnen, da der Charakter Trudi mich mit ihrer fast kindlichen Naivität doch sehr stark an den von Lady Edith erinnerte. Der einzige große Unterschied zwischen beiden Rollen ist, dass Trudi keinen offenen Neid auf andere Menschen zuläßt, sondern immer versucht alles und jeden zu verstehen und stets in allem und jeden eine gute Seite zu finden.
Gleichzeitig muss ich Ms. Carmichael aber auch zugute halten, dass sie als Britin mit einem, zumindest für mich als Anglistin aber Non-Native Speaker, sehr überzeugenden amerikanischen Akzent sprechen konnte. Zusammen mit der huldvollen, immer lächelnden Art und ihrem Bemühen unangenehme Streitgespräche durch mildernde Argumente umgehen zu wollen, gab sie ein perfektes Abziehbild der Klischees einer gläubigen, brav sozialisierten jungen Lady aus gutbürgerlichem Hause ab.
Für Peter ist Trudi der Fels in der Brandung, an den er sich anklammern kann, wenn ihm seine eigene Hilflosigkeit zu viel wird. Für die scharfzüngige Kristin ist sie am Anfang ziemlich nervig und muss von deren Seite einiges an versteckten und offenen Sticheleien über sich ergehen lassen. Am Ende ist sie dann jedoch überraschender Weise die einzige Person, die erkannt hat, dass Kristins größte Herausforderung darin liegt zu erkennen, dass sie nicht ihrem Ehemann dafür vergeben lernen muss, dass ihre Familie zerstört und die Söhne schwer traumatisiert wurden, sondern in erster Linie sich selbst. Und zwar dafür, dass sie zwar betont, dass Apologia eine Erklärung und keine Entschuldigung ist, sich und ihre eigenen Handlungen insgeheim an allem schuldig sieht was ihren Söhnen in der Vergangenheit widerfahren ist.
Freema Agyeman als Claire, die Freundin von Simon
Auch sie kannte ich aus einer Fernsehserie. In Doctor Who war sie eine Staffel lang Martha Jones, eine Begleiterin des 10. Doctors auf seinen Reisen durch Raum und Zeit. Da ihr Mitwirken in Apologia auch gleichzeitig ihre Debut als Bühnendarstellerin ist, war ich natürlich besonders darauf gespannt wie sie sich in diesem für sie noch ungewohnten Genre schlagen würde.
Obwohl ich ihr gegenüber, aufgrund der Tatsache dass ich sie als Martha Jones sehr mochte, sicher nicht ganz unvoreingenommen bin, denke ich doch, dass sie auch objektiv betrachtet eine sehr gute Performance als kluge, aber zunächst recht oberflächlich und materialistisch wirkende, dann doch sehr analytische und selbstironische Claire ablieferte. Die Rolle war zum Glück auch ganz anders als der Charakter Martha Jones, was ich sehr erfrischend und interessant fand, denn auch Ms. Agyeman scheint durchaus wandelbarer zu sein als ich es zugetraut hätte.
Sehr passend war die Tatsache, dass Claire eine Schauspielerin ist, die aufgrund mangelnder anderer Angebote bei einer Seifenopern-TV-Serie mitspielt, die im Milieu der Designer und Modeindustrie angesiedelt ist. Sie versucht sich mit ihrer Rolle zu identifizieren und spielt auch privat so perfekt die modeverliebte Hedonistin, dass alle zunächst meinen sie sei wirklich so. Natürlich kommt mit zunehmendem Spannungsaufbau unter den Familienmitgliedern schließlich zu Tage, dass sie sich sehr wohl darüber bewusst ist, das das alles nur Show ist und es auch wichtigere Themen im Leben geben muss, mit denen frau allerdings nicht immer in der Lage ist annähernd gleich viel Geld zu verdienen wie mit der Vortäuschung eines Lebens in Luxus und Überfluss.
Am amusantesten fand ich in diesem Zusammenhang den Running Joke, in dem die immer hilfsbereite Trudi jedes Mal, wenn jemand Claires Fernsehserie eine Seifenoper nannte, entgegen hielt, dass es garkeine Seifenoper sei sondern
eine in Serienform erzählte Geschichte, welche die Leben mehrerer Menschen im Milieu der Modeindustrie, ihre Wünsche, Träume und Intrigen thematisiert
– was natürlich genau die gängigen Klischees einer Seifenoper aufzählt.
Desmond Barritt als Hugh
Diesen Schauspieler kannte ich persönlich weder vom Theater noch aus einer der zahlreichen Film- und TV Rollen, die er in seinem langen und erfolgreichen Leben schon innehatte. Daher habe ich auch keinen Vergleich seiner Darstellung des gutmütigen, liebenswert verschmitzten Jugendfreundes von Kristin zu seinen bisherigen Darbietungen.
Mir hat vor allem die Art gefallen, wie er über lange Strecken im Hintergrund agierte, wenn die anderen Charaktere sich zunehmend in die Haare kriegten. Aus seiner Mimik und Gestik war mindestens genauso viel abzulesen wie aus den pointierten und gut platzieren Kommentaren, die der Charakter des Hugh meistens wie beiläufig einwarf, um zu versuchen die Spannung aus der Situation rauszunehmen. Er ist in der Beziehungskonstellation soetwas wie der Beobachter von außen, der nicht zur Familie gehört, aber alle Handelnden Personen auf freundschaftliche Weise gut kennt und von allen respektiert wird.
Daher kann er es sich auch als einziger leisten, dem schon sehr aufgebrachten Peter ins Gewissen zu reden, er solle doch bitte daran denken, dass es zu jeder Beziehungs- und Trennungsgeschichte mindestens zwei verschiedene Sichtweisen gibt und niemand alleine die Schuld an den negativen Entwicklungen innerhalb einer Familien haben kann.
Fazit
Apologia ist ein sehr abwechslungsreiches, mit wortgewandten Dialogen und vielen philosophischen Einsichten angereichertes Theaterstück, das ich in jedem Fall auch gerne lesen möchte, um einzelne Details noch genauer erfassen zu können.
Den Besuch der Inszenierung der Trafalgar Studios in London (wo es unter der Regie von Jamie Lloyd noch bis 18. November 2017 läuft) kann ich ebenfalls wärmstens empfehlen.
Daher gebe ich diesem Werk ehrlich unapologetische 4 von 5 Krokis, welche an ihrer eigenen Lebenserläuterungs-Niederschrift arbeiten und sich für nichts was sie in ihrem bisherigen Dasein getan haben entschuldigen müssen.
4 / 5
Fragen an die Leserschaft
Gibt es unter den Lesern jemanden, der Apologia auch schon gesehen hat ?
Wenn ja, wie hat es dir / euch gefallen ?
Wenn nein, habt ihr nun auch Lust bekommen euch das Stück anzusehen ?
Was haltet ihr von den Charakteren und / oder schauspielerischen Leistungen ?
Eure Infos, Fragen und Antworten könnt ihr wie immer in den Kommentaren posten.
Über Rückmeldung freue ich mich immer !